DIE NACHT VON Sonntag, 6. März 2005
Die Verlängerung
unreal, 23:12h
Der Sonntag ist für mich die unmittelbare Verlängerung des Samstag, des Freitag gewesen. Ohne Pause hineingerutscht, losgezogen, ohne Zeit zum denken in die Disko bewegt, Menschen schauen.
Wer einmal aufmerksam einen solchen Tempel der Zerstreuung betreten hat, der wird mein Vergnügen nachempfingen können. Ein Amüsieren, dass in einem Zoo nicht stärker empfunden wern kann.
Ohne Gitter, Schutzglas und Rettungnetz tauche ich ein in die Masse der Wesenheiten, betrachte sie, konsumiere sie, sauge ihre Art in mich auf. Werde äußerlich einer von ihnen und bleibe innerlich doch sehr distanziert.
Sie nehmen mich in ihre Mitte, zeigen sich mir, präsentieren sich mir und sobald sie mein drittes Auge erblicken, vollführen sie ihre kleinen Kunststückchen. Und gleich gibts ein Extra-Leckerlie.
Weitergezogen in einen kleinen angesagten Club. Die selben Menschen, andere Musik. Eine junge Frau, sicherlich keine 18 freut sich ein Bein ab, dass sie, besoffen und bekifft wie sie ist, in ihrer Pyjama-Hose Einlaß bekommen hat. Okay, der Türsteher hat zu dem Zeitpunkt deutlich mehr Aufmerksamkeit auf seine Pizza gerichtet. Die sah aber auch lecker aus. Die Pizza. Wieder sehe ich alles, alle sehen mich. Niemand nimmt mich als den Außenseiter wahr, der ich bin. Niemand versteht den wahren Grund meines Lachens.
Später am Morgen, irgendwann um 4 Uhr rum werde ich gebissen werden. Von einer Frau. Komische Art der Zuneigungsdarstellung und wieder muss ich lachen. Später höre ich ein absolut uninteressantes Angebot eines Blowjobs, wenn ich sie dafür berühmt mache... oh weh, das alles für einen kurzen Moment der Aufmerksamkeit.
An beiden Orten der Nacht kann ich seltsame Rituale sehen. Balzrituale, Reviermarkierungen und anderes. Jedes dieser Rituale läßt mich überlegen, ob und wann wir eigentlich angefangen haben, wirklich zivilisiert zu werden.
Aber die Frage ist gemein. Die Leute, denen ich begegne, sie leben in einer anderen Welt als ich. Für sie zählen andere Dinge als für mich. Gemein haben wir aber eines:
Flucht vor der Realität
Sie haben ebenso Angst vor der Isolation wie ich. Hassen und lieben ihr Leben wie ich und kommen genauso wenig damit zurecht.
Sie sind einsam und suchen die Aufmerksamkeit. Andere suchen Zuhörer, hier geht es um Zuschauer. 5 Minuten Ruhm. 5 Minuten Mittelpunkt. 5 Minuten Aufmerksamkeit. In und von einer Welt, die sich dadurch definiert, dass man keinen Ruhm mehr ernten kann, die Globalisierung des Denkens das Modell des Mittel- oder Ausgangspunktes überholt hat und Aufmerksamkeit einer Aufmerksamkeitsökonomie weicht: Explosionen und Tote bringen Quote.
Wer will schon normale Menschen - oder fast noch schlimmer: das normale Leben - sehen? Also begeben wir uns in den Kampf, in die Konkurenz mit einigen anderen Tausend Menschen in dieser Halle, in dieser Nacht. In den Kampf um die Aufmerksamkeit. Und doch ändert sich nichts: Wir sind langweilig. Uninteressant.
Schlafen werde ich heute nicht. Bin noch verabredet, werde ein wenig Kraft sammeln und mich - mit Kaffee und lecker Essen - verwöhnen lassen. Zuneigung von Menschen erfahren, die ich als "Normale" betrachte. Mit ihnen zusammen über Hundertwassertassen mit dem bezeichnenden Titel "Gras für diese, die da weinen" lachen und mir doch wünschen, ich könnte mir auch "mal eben" ein paar dieser sündhaft teuren Dinge leisten. Nicht, dass ich sie brauche oder auch nur will. Ich erkenne in ihnen das, was sie sind und sein wollen oder gar sein müssen: Statussymbole für Menschen, die sie sich kaufen, weil sie sie sich kaufen können. Für und wegen nichts anderem.
Vielleicht sollte ich doch schlafen.
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strappato,
Sonntag, 6. März 2005, 23:31
Balzrituale und Revierstreitigkeiten sind anscheinend tief im Stammhirn verankert. Überall auf der Welt dieselben Menschen bei anderer Musik auf der Suche nach 5 Minuten Ruhm und sexueller Attraktivät.
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unreal,
Sonntag, 6. März 2005, 23:38
Und was finden sie?
Was suchen sie überhaupt? Wen suchen sie? Sich?
Was suchen sie überhaupt? Wen suchen sie? Sich?
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ohne mich,
Sonntag, 6. März 2005, 23:52
nichts
`sich´ werden sie sicher nicht finden
..suche nach dem Vergessen!
`sich´ werden sie sicher nicht finden
..suche nach dem Vergessen!
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unreal,
Montag, 7. März 2005, 00:00
Die Suche nach dem Vergessen. Das ist meine Suche. Treffer.
Aber ihre?
Aber ihre?
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